Unser Statement zur BAföG-Reform: von einer großen Förderlücke bis zu mangelnder Unabhängigkeit von den Eltern – da geht noch mehr!
Die Situation
Seit mehreren Jahren fordern Sozialverbände, ein breites Bündnis aus Parteien und andere Interessenverbände, sowie die deutschen Studierendenwerke eine große, strukturelle Reform des BAföG. Entsprechende Maßnahmen wurden durch die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag [1] bereits festgeschrieben. Leider erfüllt der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegte Referentenentwurf [2] die Reformpläne nicht.
Die Änderungen im Überblick
1. Studienstarthilfe
Die Studienstarthilfe soll es Studienanfänger*innen aus einkommensschwachen Familien ermöglichen, ihr Studium in der Stadt ihrer Wahl aufzunehmen. Der aktuelle Entwurf sieht hierfür eine Einmalzahlung in Höhe von 1000€ vor.
2. Flexibilitätssemester
Zukünftig soll es dank des Flexibilitätssemesters möglich sein im Bachelor oder Master ein Semester länger als die Regelstudienzeit vorsieht gefördert zu werden.
3. Fachwechsel
Der Fachwechsel soll ohne Angabe von Gründen nun innerhalb der ersten drei, statt wie bisher zwei Semester möglich sein.
4. Zuverdienstgrenze
Der Entwurf sieht eine Anpassung des Zuverdienstfreibetrags auf die Höhe der erwarteten Minijobgrenze ab 2025 vor. Aktuell dürfen nur 522,50€ hinzuverdient werden, obwohl die Minijobgrenze bei 538€ liegt.
5. Anpassung KV und PV Zuschläge
Die Zuschläge für Kranken- und Pflegeversicherung sollen an die Regelbeiträge für 2024 angepasst werden.
6. Steigerung der Schuldengrenze
In Zukunft wird die Schuldengrenze nach Planungen des BMBF nicht mehr bei wie bisher 10010€ (77 Raten zu 130€) liegen, sondern wird voraussichtlich auf 11550€ (77 Raten zu 150€) steigen.
7. Neue Freibeträge
Es ist vorgesehen, dass alle antragsrelevanten Freibeträge um ca. 5% angepasst werden.
Das ist das Problem
Heraus sticht: Es ist keine Erhöhung der Bedarfssätze in der Reform vorgesehen. Die letzte Anpassung der Bedarfssätze fand 2022 statt. In Zeiten hoher Inflation und explodierender Mieten sowie Nebenkosten ist es schlichtweg unverständlich, wieso keine Anpassung dieser Sätze vorgenommen werden soll. Das BMBF gibt selbst in seinem Entwurf an, dass durch die Pläne ein finanzieller Mehraufwand von 62 Millionen Euro zu erwarten ist. Im Haushaltsentwurf 2024 [3, 4] wurden für die Reform allerdings zusätzliche 150 Millionen Euro durch den Haushaltsausschuss des Bundestags eingeplant, mehr Geld wäre also vorhanden.
Dabei wären sogar nicht nur Erhöhungen notwendig, sondern weitreichende strukturelle Reformen. Die Miethöhe ist stark regional abhängig: während in manchen Städten 360€ für eine Wohnung ausreichend sind, ist es z.B. in München, aber auch bei uns in Aachen, für die wenigsten möglich, ein Zimmer für diesen Preis zu erhalten. Wir fordern daher eine Regionalisierung der Wohnkostenpauschale nach Vorbild des Wohngeldes, wo dies bereits gängige Praxis ist [5].
Ein weiteres Problem ist der Grundbetrag selbst. Dieser beträgt höchstens 452€. Das ist weniger als das Bürgergeld! Wenn das Bürgergeld die Sicherung des Existenzminimums gewährleisten soll, wie kann es dann sein, dass das BAföG niedriger ausfällt? Weiterhin fehlt außerdem ein Mechanismus, der eine regelmäßige und ausreichende Anpassung der Sätze nach Vorbild des Bürgergeldes [6] regelt, obwohl dies ebenfalls eine Vereinbarung des Koalitionsvertrages ist. Zur Zeit läuft gegen die Höhe der Regelsätze auch noch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) [7]. Die Klage stammt aus dem Jahr 2014. Die Studentin hatte bereits in voriger Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen [7], ein Urteil des BVerfG steht weiter aus.
Neben diesem fatalen Signal haben selbst die an sich guten Ideen des vorliegenden Entwurfs ihre Probleme.
Die Studienstarthilfe in Höhe von 1000€ ist absolut unzureichend. Von diesem Geld lassen sich der Umzug, die Kaution und die Ersteinrichtung einer Wohnung nicht finanzieren. Außerdem erfolgt die Auszahlung erst nach Immatrikulation, also nach Fälligkeit aller Kosten. Somit bleibt weiterhin, entgegen dem Grundgedanken des BAföG und der Zielsetzung der Anpassung, das Portemonnaie der Eltern ein entscheidender Faktor bei der Wahl des Studienortes. Auch mit Blick auf die weiterhin ortsunabhängige Wohnkostenpauschale ist die Frage: (Wo) kann ich mir ein Studium leisten?
Das Flexibilitätssemester ist nicht ausreichend. Statistisch brauchen Studierenden in vielen Studiengängen zwei Semester länger als die Regelstudienzeit vorsieht [8]. Wir möchten, dass Studierende ohne finanzielle Sorgen und Druck ihr Studium erfolgreich bestreiten und Erfahrungen wie bspw. Auslandssemester allen offenstehen. All dies darf keine Frage des Elternhauses sein. Auch hier muss nachgebessert werden! Eine automatische Anpassung der Freibeträge an die jeweils geltende Minijobgrenze sowie eine Dynamisierung des KV- und PV-Zuschlags würden Studierende wie auch BAföG-Ämter entlasten. Eine strukturelle Reform des Antragsverfahrens zur Entbürokratisierung bleibt ebenfalls vollständig aus. Wir hoffen auf eine Korrektur im parlamentarischen Verfahren und eine Anpassung des vorliegenden Entwurfs im Sinne der im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformen.
Zusammengefasst
Der vorliegende Entwurf ist in keiner Weise die große BAföG-Reform, auf die wir und viele andere gehofft haben. Die Förderbeträge werden leider nicht an die Lebensrealität vieler Studierender angepasst. Zudem besteht weiterhin eine große Förderlücke. Es gibt viele Studierende, die keine Förderung erhalten, bei denen die Eltern allerdings auch nicht in der Lage sind, eine ausreichende finanzielle Unterstützung zu leisten. Diese Lücke muss geschlossen werden. Wir fordern ein elternunabhängiges BAföG, einen Mechanismus zur regelmäßigen Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge sowie eine Regionalisierung der Wohnkostenpauschale, damit das Studium und der Studienort nicht mehr abhängig vom Geld der Eltern sind.
Hier könnt ihr weiterlesen – Quellen
[1] https://www.gruene.de/artikel/koalitionsvertrag-mehr-fortschritt-wagen
[2] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/29-bafoegaendg-referentenentwurf.html
[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/haushaltsausschuss-bafoeg-100.html
[4] https://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digital.html
[5] https://www.wohngeld.org/mietstufe/
[6] SGB II, §20
[7] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/bafoeg-studierende-102.html
[8] https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/7013-18.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Seite 25f)